Krisenkommunikation Profi Jürgen H. Gangoly

„95 Prozent aller Krisen sind vermeidbar“

Den Kopf in den Sand zu stecken, ist in keiner Krise eine gute Idee. Jürgen H. Gangoly, Experte für Krisenkommunikation erläutert die Dos & Don‘ts in schwierigen Situationen.

Krisen können für Unternehmen und Institutionen nicht nur reputations- und geschäftsschädigend, sondern existenzbedrohend sein. Das Online-Magazin WirtschaftDirekt hat Skills-Partner Jürgen H. Gangoly befragt, worauf es in Krisensituation ankommt (hier ein Auszug aus dem Interview, die Langfassung finden Sie hier).  

Wann kann man von einer Krise bzw. Krisenkommunikation sprechen?
Von einer Krise spricht man im Zusammenhang mit PR immer dann, wenn ein Unternehmen, ein Produkt oder eine Marke dem Risiko ausgesetzt ist, einen langfristigen Reputationsschaden zu erleiden. Ganz wesentlich dabei ist: Eine Krise beginnt nicht erst dann, wenn eine reputationsschädigende Tatsache der Öffentlichkeit oder einem größeren Kreis bekannt wird, sondern bereits, wenn sie eintritt.

Gibt es Branchen, die eher unberührt von Krisen sind?
Nein, eine Reputations- oder Unternehmenskrise kann überall auftreten – vom Einzelunternehmen bis zum Industriekonzern. Es geht hier nicht nur um Flugzeugabstürze oder Großbrände. Die zahlreichen #metoo-Fälle weltweit haben etwa deutlich gezeigt, dass schon das Fehlverhalten einzelner Manager oder Mitarbeiter massive Folgen für ganze Unternehmen und Industrien haben kann. Service- und Qualitätsprobleme, Betrugs- oder Erpressungsversuche, der Griff in die Portokasse – all das kann zu Krisen führen. Besonders große und langanhaltende Krisen entstehen aber insbesondere dann, wenn nachgewiesen wird, dass Konsumenten absichtlich in die Irre geführt wurden. Auch die Themen Umweltschutz, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung haben in den letzten 20 Jahren massiv an Bedeutung gewonnen. Wenn man sich hier Fehltritte leistet, kann es ganz schnell zu einer Unternehmenskrise kommen.

Warum sollte man sich gerade bei Krisen Hilfe von außen holen?
Zur Krisenprävention macht es sicher Sinn, sich zur Analyse der Ist-Situation, zur Erarbeitung und Bewertung von potenziellen Krisenszenarien und fürs Krisentraining externe Unterstützung zu holen. Die Außensicht in der Risikobewertung, was tatsächlich einen Schaden in der Öffentlichkeit verursachen kann und was nicht, ist dabei wesentlich. Auch für regelmäßige Krisentrainings braucht man jemanden, der objektiv managt, analysiert und kritisch bewertet, kontrolliert und dokumentiert. In der Krise selbst ist es einerseits enorm wichtig, dass diese Szenarien bereits durchgespielt und durchgedacht wurden. Unterstützung von außen in der Akutphase einer Krise ist deshalb bedeutsam, weil der normale Geschäftsbetrieb ja trotz allem weiterlaufen muss. Wenn das gesamte Management damit beschäftigt ist, die Krise zu bewältigen, das Krisenteam zu steuern und Krisenkommunikation zu betreiben, funktioniert das Tagesgeschäft nicht mehr.

Vorbereitung ist gut – aber man weiß doch vorher nicht, welche Art von Krise auftaucht …
Dem würde ich so nicht zustimmen. Lehre und Praxis zeigen, dass sich vermutlich 95 Prozent aller potenziellen Krisen vorab antizipieren, vermeiden oder auch kommunikativ und organisatorisch vorausdenken und planen lassen. Ein Vorfall bzw. eine Krise, an die noch niemand je gedacht hat, ist eine absolute Ausnahmeerscheinung. Nehmen wir die Pandemie als Beispiel: Seit 15 Jahren wird über diese Bedrohung gesprochen. Seit 50 Jahren reden wir über die Klimakrise und ihre Auswirkungen – es gibt kaum ein Szenario, das man nicht vorab durchdenken und planen kann. Deshalb ist die Krisenprävention so wichtig. Aus meiner Erfahrung als früherer Feuerwehrmann kann ich auch sagen: In einer Ausnahmesituation, unter maximalem Stress, kann man nur jene Dinge abarbeiten, die man bereits geübt hat. Da bleibt keine Zeit, Strategien zu entwickeln oder spontan Möglichkeiten auszuprobieren.

Was sind die absoluten No-gos in der Krisenkommunikation?
Den Kopf in den Sand stecken. Das tun allerdings viele Unternehmen und Institutionen in Krisensituationen – und wünschen sich dabei auch noch die Unterstützung von Kommunikationsagenturen. Schweigen und hoffen, dass alles glimpflich vorbeigeht: Dieser Fehler wird häufig begangen. Der zweite Fehler ist mangelnde Geschwindigkeit. Analysen realer Krisenfälle zeigen, dass alles, was nicht in den ersten Stunden an Reaktion und Kommunikation passiert, nicht mehr aufzuholen ist. Dank Social Media sind in Wahrheit inzwischen wohl sogar schon die ersten Minuten entscheidend.

Kann es in Einzelfällen nicht trotzdem eine gute Wahl sein, abzuwarten?
Natürlich soll man nicht unvorbereitet loslegen. Man muss selbst umfassend über die Fakten informiert sein, bevor man an die Öffentlichkeit geht. Wer schlecht vorbereitet zu schnell kommuniziert, riskiert, dass man letztlich einer Falschinformation überführt wird. Das Problem ist aber, dass vieles erst durch das Nicht-Reagieren zu einer Krise werden. Nehmen wir als positives Beispiel die SOS Kinderdörfer, die einen Missbrauchsskandal selbst aufgedeckt haben. Hier wurde das Heft in die Hand genommen und aktiv kommuniziert. Sie haben eine Pressekonferenz gegeben und waren gut vorbereitet. Hätte man gewartet, bis dieser Skandal von außen aufgedeckt wird, hätte sich die Marke davon wohl nie mehr erholt.

Wie läuft ein Workshop für Krisenkommunikation in Ihrer Agentur in etwa ab?
Vor dem eigentlichen Workshop erfolgt eine Analysephase, in der unter anderem potenzielle Krisen eruiert und vorhandene Strukturen und Materialien erhoben werden. Es gibt viele Unternehmen, die wunderbare Krisenpläne für einzelne Szenarien haben und technisch toll aufgestellt sind – aber in diesen Plänen die Kommunikation nicht berücksichtigen. Diesen Teil kann man meist relativ rasch aufbauen. Wenn gar nichts vorhanden ist, muss man eben bei Null beginnen. Im Normalfall entwickeln wir zudem drei bis fünf plausible Krisenszenarien, die im Workshop durchgespielt werden. Dabei erhalten die Kunden praktische Tipps und Hilfestellungen für die Vorbereitung – welche Checklisten braucht man, welche Stakeholder-Gruppen müssen bedacht werden etc. Auf Wunsch werden diese Krisenszenarien in der Folge auch live und unangekündigt geprobt.